Dr. rer. nat. H. B r e u n i n g e r

14a Ulm Trollingerweg 50

Ulm,   den 23.11.1959

Übersicht über die Lage der deutschen Spezialisten in der UdSSR

Auf Anregung von Herrn Ministerialrat Dr. Z., Bundesarbeitsministerium, stelle ich im folgenden übersichtsmässig nach meinem derzeitigen Wissen Angaben über die Lage der deutschen Spezialisten in der UdSSR zusammen, um dadurch den Behörden, die sich mit diesem Personenkreis z.B. zur Prüfung der Anwendbarkeit des HHG befassen, einen Überblick über die etwas komplizierten Verhältnisse zu geben.

Was mich betrifft, wurde ich mit Familie ohne diesbezügliche Befragung oder Vorwarnung am 22.10.46 morgens nach der UdSSR abtransportiert und befand mich

vom Nov.46 bis Sept.50 in Kuibyschew 26 (Unternehmen Postfach 78)

vom Sept.50 bis Sept.55 in Moskau Postfach 908 (Unternehmen Postfach 1323)

vom Sept.55 bis Febr.58 in Suchumi Postfach 126 (Unternehmen Postfach 908)

I. Alliierte Verordnungen zum Reparationseinsatz

1. In dem von Churchill, Roosevelt und Stalin unterzeichneten "Protokoll der Besprechungen zwischen den Chefs der drei Regierungen auf der Krimkonferenz über die Frage der deutschen Reparationen in Waren" (Dokumente und Berichte des Europaarchivs, Band 6, herausgegeben von Wilhelm Cornides und Hermann Volle, Verlag Europa-Archiv, Oberursel/ Taunus, Seite 57) lautet Punkt 2:

"Die Reparationen sollen in den drei folgenden Formen aus Deutschland herausgezogen werden:

a)  Hauptentnahme innerhalb von 2 Jahren ...............

b)  Jährliche Warenlieferungen aus der laufenden Produktion..............

c)  Verwendung deutscher Arbeitskräfte."

2. In der von Eisenhower, Schukow, Montgomery und de Lattre-Tassigny am 5.6.45 unterzeichneten "Erklärung in Anbetracht der Niederlage Deutschlands und der Übernahme der obersten Regierungsgewalt hin­sichtlich Deutschlands" (1.c. S. 74-76) heißt es in Artikel 5b):

"Auf Verlangen sind den Alliierten Vertretern zur Verfügung zu
stellen: I. die Arbeitskräfte, Versorgungsmittel und Betriebs­
anlagen, die zur Erhaltung oder zum Betrieb jeder der 6 unter
a) oben bezeichneten Kategorien erforderlich sind;
………. "  (S.75).

Im "Amtsblatt des Kontrollrates in Deutschland" No.1 vom 29.1o.45 steht die am 20.09.45 von Montgomery, Koeltz, Sokolowski und Eisenhower unterzeichnete Proklamation Nr.2 "Zusätzliche an Deutschland gestellte Forderungen". Hier heißt es in Abschnitt VI, Punkt 19a), (S.l4 des ge­nannten Blattes):

"Die deutschen Behörden müssen zugunsten der Vereinten Nationen alle die von den Alliierten Vertretern vorgeschriebenen Maßnahmen für Rückerstattung, Wiedereinsetzung, Wiederherstellung, Reparation, Wiederaufbau, Unterstützung und Rehabilitierung durchführen. Zu diesem Zwecke müssen die deutschen Behörden die Auslieferung oder Übertragung alles Eigentums, aller Guthaben, Rechte, Anrechte und Interessen durchführen oder verschaffen, Lieferungen machen und Reparaturen, Bau- und Konstruktionsarbei­ten innerhalb und außerhalb Deutschlands ausführen und müssen Transportmittel, Anlagen, Ausrüstungen und Material aller Art, Arbeitskräfte, Personal und fachmännische und andere Dienste zum Gebrauch innerhalb und außerhalb Deutschlands zur Verfügung stel­len, wie sie von den Alliierten Vertretern angeordnet werden."

4.  Nach Bemerkungen, die kurz nach der Spezialistenverschleppung vom
22.1o.46 in Zeitungen der französischen Besatzungszone und des fran­zösischen Sektors erschienen, soll diese Verschleppung auf Grund
des Kontrollratsgesetzes Nr.3 vom Januar 1946 erfolgt sein. Leider ist
mir dieses Gesetz nicht bekannt.

5.  Nach Bemerkungen, die etwa zur selben Zeit in anderen deutschen
Zeitungen standen, soll die Erörterung der Verschleppung vom 22.10.46
auf die Tagesordnung der Kontrollratsitzung vom 4.11.46 gesetzt wor­den sein. Ein Besprechungsprotokoll dar
über konnte ich bisher nicht
ausfindig machen.

Anmerkung; Hieraus folgt, dass die deutschen Spezialisten zur Repara­tionsleistung in der UdSSR waren und dass daher für entstandene Nach­teile in derselben und ähnlichen Weise Ausgleich angebracht ist, wie etwa für Nachteile in Folge Militärdienstes, weil auch der Reparations­dienst im Namen des ganzen deutschen Volkes erfolgte.

II. Zwang und Freiwilligkeit.

Es gab folgende Fälle:

1.  Schriftlicher Vertrag vorher in Deutschland abgeschlossen (wenige
Fälle 1945} z.B. von Ardenne, Professor Hertz, und 1948 in Erfurt).

2.  Auf Befehl der Sowjetischen Militäradministration (SMA) ohne jede
diesbez
ügliche Befragung oder Vorwarnung plötzlich von bewaffneten
Milit
ärpersonen abgeholt. (Tausende von Fällen am 22.1o.46, darunter
auch ich).

3.  Auf Befehl der SMA militärisch abgeholt, nachdem aber schon früher
von sowjetischer Seite gefragt worden war, ob man auch bereit wäre,
in der UdSSR zu arbeiten (nur ein solcher Fall vom 22.10.46 ist mir
sp
äter bekannt worden).

4. Direkt aus dem Betrieb, als Spezialist nach der UdSSR gebracht (soll 1945 in Westberlin vor der Übergabe an die westlichen Alliierten vor­gekommen sein).

5. Aus politischen Gründen verhaftet und später in den Zustand eines
normalen Spezialisten versetzt. (viele Fälle von 1945 bei der Gruppe Moskau Postfach 9o8 erfolgten solche Umwandlung in normale Spezialisten im Februar 1951),

6. Aus den Zustand der Kriegsgefangenschaft in den Zustand des Spe­zialisten übernommen (z.B. einige Fälle, die 1950 von Kasan nach
Kuibyschew kamen).

III. Mitnahme der Familie

Es gab folgende Fälle:

1.  Bei ursprünglich politisch Verhafteten oder Kriegsgefangenen kam
natürlich keine Familie mit; jedoch bestand teils später die Mölichkeit, die Familie nachkommen zu lassen. Davon machten nur wenige
Gebrauch.

2.  Bei den am 22.1o.46 Verschleppten kam es vor, dass der die Verhaftung
leitende Offizier über den Dolmetscher verlangte, dass die Familie
mitgehe; das war z.B. bei mir der Fall.

3. In anderen Fällen gab am 22.1o.46 der betreffende abholende Offizier zu verstehen, dass die Mitnahme der Familienmitglieder, der Braut, Untermieterin oder Hausangestellten freiwillig sei. Die meisten nahmen die Familie mit, einige nahmen sie nicht mit, davon ließen dann wieder einige wenige später die Familie oder einen Teil davon nachkommen.

IV. Hausrat.

1.  Politisch Verhaftete und ehemalige Kriegsgefangene hatten natürlich
keinen Hausrat mitgenommen.

2.  Die gleich als Reparationsspezialisten Verhafteten konnten den Haus­
rat mitnehmen, soweit sich dieser innerhalb der zur Verfügung stehen­
den vier bis sieben Stunden verpacken und verladen ließ.

 

3. Wer die Familie später nachkommen ließ, konnte sich dabei auch Haus­rat mitkommen lassen.

V.        Arbeitsrechtliche Lage in der UdSSR

1.  Kein schriftlicher Vertrag (die meisten Fälle; es galten die all­gemeinen in der UdSSR üblichen Arbeitsbedingungen; dieser Zustand bei mir von Nov.1946 bis Febr.51).

2.  Vertrag wurde in der UdSSR vorgelegt, aber Unterzeichnung durch den Spezialisten verweigert (z.B. 13 aus Kuibyschew übernommene Fälle der Spezialistengruppe Moskau Postfach 9o8 im Febr.51; die Ursache der Verweigerung war dabei meistens die Hoffnung, dadurch früher repatri­iert zu werden, was sich später als ein Irrtum erwies. In etwa 3 Fällen, wo durch diese Verweigerung gleichzeitig die Umwandlung der politischen Haft in Reparationsinternierung verhindert wurde, wurden die Betref­fenden zusammen mit den Kriegsgefangenen tatsächlich früher repatriiert, als wenn sie unterzeichnet hätten.)

3. Vertrag wurde in der UdSSR vorgelegt und angenommen (etwa 87 Fälle der Spezialistengruppe Moskau Postfach 908 im Febr.51). Der betref­fende Vertrag enthielt 1o Punkte etwa folgender Art:

a)  Die schriftlich gestellte Aufgabe muss bearbeitet werden.

b)  Die Arbeitsverhältnisse entsprechen der in der UdSSR allgemein üblichen Ordnung.

c)  Erfindungen sind Eigentum der UdSSR.

d)  Verpflichtung zur Geheimhaltung auch für spätere Zeit.

e)  Stellung ..  (bei mir z.B. Technischer Leiter eines Labors)

.  Gehalt ....  (bei mir z.B. 4500 Rubel).

f)  Geldüberweisung und Paketsendungen an Verwandte in der "DDR"
sind möglich; ersteres in Höhe von 5o % des Gehaltes zum festge­legten Kurs (siehe Punkt XI).

g)  Medizinische Betreuung erfolgt in der allgemein üblichen Form.
Urlaub steht entsprechend den sowjetischen Gesetzen zu; er darf
nur in der UdSSR verbracht werden.

h)     Krankengeld und Invalidenrenten werden in der UdSSR nach den all­gemeinen Regeln bezahlt. Nach Rückkehr in die "DDR" werden im Fal­le der Invalidität folgende Monatsrenten bezahlt:


Laboranten                 150,— DM Ost

Meister (Werkstatt)        250, DM
Ingenieure                    500, DM
Doktoren                      700, DM

   Professoren                  1200,  DM  "

i) Die Kinder können sowjetische Schulen nach den allgemeinen Regeln

besuchen.

k) Der Vertrag gilt vier Jahre. Nach Ablauf des Vertrages hat der Spezialist das Recht, nach Deutschland zurückzukehren.

Anmerkung; Der letztere Punkt war für die meisten, so auch für mich, der Grund der Unterzeichnung, weil viele damals noch der irrigen Mei­nung waren, dass man sich auf einen schriftlich garantierten Repatriierungstermin verlassen könne. Der Text des Vertrages befand sich in den Personalakten in Moskau und konnte auf Verlangen eingesehen werden.

4. Der Vertrag war abgelaufen, aber die Arbeit ging in gleicher oder ähnlicher Weise weiter. Das galt wohl in allen Fällen, wo nachträg­lich Verträge geschlossen worden waren. Dieser Zustand war z.B. bei den Spezialisten der Gruppe Suchumi Postfach 126 gegeben, welche aus der Gruppe Moskau Postfach 908 Ende 55 hervorgegangen war, wozu auch ich gehörte.

VI. Gehälter

Die Gehälter der Spezialisten lagen zwischen 375 und 18000 Rubel im Monat, meistens zwischen 1000 und 5000 Rubel, davon ging Einkommensteuer ab. Vom normalen Prämiensystem waren die deutschen Spezialisten ausgeschlossen, Sonderprämien gab es manchmal, aber seltener als bei den sowjetischen Menschen. Zum Vergleich hier einige sowjetische Gehälter (ohne Prämien):

Ungelernter Landarbeiter                      270 - 300 Rb.
W
ächter                                       300 Rb.

Arbeiter in Süsswarenfabrik                   400 - 500 Rb.
Maurer                                        600 Rb.

Friseuse                                      650 Rb.

Qualitätsfeinmechaniker                       800 Rb.

Arzt                                           800 Rb.

Junger Ingenieur mit Fachschulbildung         800 Rb.

Junger Ingenieur mit Hochschulbildung         1200 Rb.
Inspektoren des Staatsicherheitsdienstes     1200 Rb.

Bergarbeiter                                  1500 Rb.

Fernverkehrschauffeur                         1500 - 2000 Rb.

Major                                         2200 Rb.
Kuhhirt (weidet 5o-6o Kühe von Privatpersonen)       3000 Rb.
Ingenieur-Offizier (Major)                    4000 - 5000
Rb.

Wissenschaftler                               4000 - 6000 Rb.

Frau Furzewa, Mitglied des Obersten           32000 Rb.
Sowjets und versch. Reg. Kommissionen

Mein Bruttoeinkommen betrug:

vom 1.11.46 - 31.12.46                          1800 Rb.

vom  1.1.47 - 15.8.48                             4000 Rb.

Vom l6.8.48 - 15.9.5o                           3000 Rb.

vom 16.9.5o - 28.2.51                           3500 Rb.

vom 1.3.51  - 18.1.58                           4500 Rb.

Die Einkommensteuer betrug von den ersten tausend Rubeln 82 Rubel und dann 13 % des darüberliegenden Betrages.

Zur besseren Beurteilung noch einige Preise in Rubeln:

1 kg Schwarzbrot                                1,50 Rb.

1 kg Weissbrot                                  2,00 Rb.

1 lt. Milch, Staatspreis (meist nicht erhältlich) 2,50 Rb.

1 lt. Milch von privat                            4 - 5,00 Rb.

1 kg Mehl                                    3 - 5,00 Rb.

1 kg Kartoffeln (privat)                   1 – 4,00 Rb.

1 kg Obst je nach Gegend und Jahreszeit         25,00 Rb.

1 kg Fleisch                                l4 - 20,00 Rb.

1 kWh Elektroenergie                            0,40 Rb.

  Miete für 1 qm Zimmerfläche                   1,32 Rb.

1 Herrenoberhemd (Baumwolle)                70 - 100 Rb.

1 Herrenoberhemd (Seide)                      200,00 Rb.

1 Paar tschechische Herren-Sommerhalbschuhe  200,00 Rb.

1 Paar Herrenschuhe                         300,00 Rb.

1 Anzug                                    700-1200 Rb.

1 Maßanzug                                1500-2000 Rb.

1 Radioapparat (Super) Marke "Newa"             1147 Rb.

1 Kühlschrank 145 Liter                          2000 Rb.

Diese Preise gelten etwa für die Zeit von 1952 - 1958. Vorher war vieles noch bedeutend teurer.

VII.  Sozialversicherung

"Sie sind den sowjetischen, gewerkschaftlich organisierten Arbeitern gleichgestellt", sagte ein sowjetischer Direktor zu uns. Dies bezog sich besonders auf die Leistungen aus der Sozialversicherung.

Der sowjetische Arbeiter bezahlt selbst keine Beiträge zur Sozialversi­cherung. Diese trägt das Unternehmen. Er bezahlt Einkommenssteuer und evt. "Wenig-Kinder-Steuer". Beispiel: Wenn ein Russe 1000 Rubel Monatsgehalt hat, dann wird in der Lohnbuchhaltung des Unternehmens für ihn 1100 Rubel als Belastung des Gehaltsfonds eingesetzt. 1oo Rubel gehen in die Sozialversi­cherung, 1000 Rubel sind der Bruttolohn des Arbeitnehmers, davon werden aber gleich 82 Rubel Einkommenssteuer abgezogen (wenn er mehr als 3 arbeitsunfähige, unterstützungsbedürftige Angehörige hat, erhält er 30 % Steuerermässigung). Außerdem gehen noch bei Kinderlosigkeit 6% bei einem Kind 1% und bei 2 Kindern o,5 % ab.

Bezüglich der Sozialversicherung waren die deutschen Facharbeiter den rus­sischen Arbeitnehmern gleichgestellt. Das galt auch für die Einkommensteuer. Die Wenig-Kinder-Steuer brauchten die Deutschen nicht zu bezahlen. Ebenso be­zahlten sie natürlich keine Gewerkschaftsbeiträge.

Die angedeutete Verflechtung zwischen Sozialversicherung und Gewerkschaft ist kompliziert. Die Verwaltung der Sozialversicherungskassen befinden sich unter gewerkschaftlicher Kontrolle; obwohl für jeden Arbeitnehmer unabhän­gig davon, ob er gewerkschaftlich organisiert ist oder nicht, der gleiche Betrag (etwa 10% des Lohnes) einbezahlt wird, beträgt das Krankengeld doch bei denen, die nicht Mitglied einer Gewerkschaft sind, nur die Hälfte. Diese Regelung ist nach meiner Meinung als Druckmittel für die Russen aufzufassen, sie zu veranlassen, freiwillig und vollzählig den Gewerkschaften beizutre­ten. Die Zentralverwaltung der Gewerkschaften spielt in der UdSSR etwa dieselbe Rolle wie die Arbeitsministerien in westlichen Staaten.

VIII. Unterbringung

Die deutschen Spezialisten wurden meistens in Wohnungen untergebracht, manchmal auch in beschlagnahmten Sanatorien. Es wurde durchweg darauf ge­achtet, dass die Gruppen von Spezialisten möglichst geschlossen beisammen wohnten. Das von den Spezialisten bewohnte Gelände war teils allgemein zu­gänglich, teils eingezäunt und bewaffnet bewacht (siehe Punkt IX), teils natürlich begrenzt (Insel oder dergleichen). Die Grosse der Wohnfläche war verschieden. Was mich betrifft, so hatte ich mit meiner Familie in Kujbyschew ein Zimmer von 20 qm in einer Zweizimmerwohnung; Küche und Nebenräume waren gemeinsam mit den Bewohnern des anderen Zimmers. In Moskau Postfach 9o8 hatte ich ein Häuschen mit zwei Zimmern und zusammen 26 qm, gesamte Fläche etwa 35 qm. In Suchumi waren die entsprechenden Zahlen 48 qm und 60 qm. Die Miete beträgt einheitlich pro qm Zimmerfläche 1,32 Rb., sofern man nicht mehr als den gesetzlich zustehenden Wohnraum hat.

IX. Einschränkungen der Bewegungsfreiheit.

1. Es wurden keine Einschränkungen verhängt. (In vielen Fällen von 1946 bis 1947)

2. Es wurde ein Gebiet von wenigen qkm genannt, in welchem sich die Spezialisten bewegen durften. Bei unerlaubtem Verlassene dieses Gebietes konnte Ausgangsverbot verhängt werden. Erlaubnisscheine konnten für einen Tag auf Grund eines vorher eingereichten schriftlichen Antrages zum Besuche z.B. der nächsten Stadt erlangt werden. Sie mussten teils am selben Tag abends oder spätestens am Vormittag des nächsten Tages wieder abgegeben werden. Diese Verhältnisse bestanden z.B. in Kuibyschew vom Sommer 1947 an; das Freigelände war dort etwa 25qkm groß.

 

3. Das Wohngelände war eingezäunt und bewaffnet bewacht; aber man konnte sich bis zur nächsten Stadt oder einer gewissen Entfernung (z.B. 5km) während einer bestimm­ten Zeit (z.B. von 6 - 24 Uhr) frei bewegen. Bei größeren Entfernungen war Begleitung durch Inspektoren des Staatssicherheitsdienstes erforder­lich (so etwa bei der Gruppe Suchumi Postfach 126 1956 – 58).Bei Verletzung der Vorschriften konnte Ausgangssperre verhängt werden.

4. Das eingezäunte Wohngelände oder die als Wohngelände ausgesuchte Insel war bewaffnet bewacht (bewaffnet bewachter Ausgang; nachts bewaffnete Patrouillen entlang des Zaunes) und konnte nur in Begleitung von Inspek­toren des Staatssicherheitsdienstes verlassen werden. Das galt z.B. für alle Erwachsenen, auch für die Frauen und zeitweise auch für die Kinder bei der Gruppe Moskau Postfach 9o8 (195o - 1955). Hier war das Wohnge­lände etwa 1/8 qkm groß. Zum Zwecke des Verlassens musste 2 Tage zuvor ein begründeter schriftlicher Antrag eingereicht werden. Dann stand ein Inspektor des Staatssicherheitsdienstes zur Begleitung bereit. Auch bei Einlieferung in Krankenhäuser wurde gleichzeitig ein Inspektor krank geschrieben. Ausnahmen waren nur Infektionskrankheiten und Entbindungen.

Anmerkung: Die Punkte 2,3 und 4 sind besonders wichtig für die Beurteilung nach HHG

 

X. Verkehr mit Ausländern.

1.  Der Verkehr mit ausländischen Botschaften war verboten. Vereinzelte
Ausnahmen gab es im Falle von Österreichern.

2.  Im Falle der Spezialistengruppe Suchumi Postfach 126 wurde ab Dezember
1955 die Möglichkeit des Verkehrs mit der Botschaft der "DDR" geschaffen, indem ein ständiger Vertreter in Suchumi war. Aber der Verkehr mit der Bundesrepublik Deutschland war verboten. Dennoch gelang es den meisten Spezialisten, die sich für die Bundesrepublik erklärt hatten(siehe Punkt XII), sich auf komplizierten Umwegen rechtsgültige west­deutsche Pässe von der Botschaft der Bundesrepublik in Moskau zu beschaf­fen.

3. Es war verboten, unterwegs mit Ausländern zu reden. Auch wenn z.B. ein deutscher Tourist zufällig merkte, dass man selbst ein Deutscher war und einen ansprach, durfte man sich in kein Gespräch mit ihm einlassen, wobei es ausdrücklich verboten war, ihn merken zu lassen, dass man nicht mit ihm sprechen durfte; sondern der Spezialist sollte so tun, als ob er selber kein Interesse an einem Gespräch mit ihm hätte. Noch 1957 wurde in Suchumi einer von uns mit Ausgangssperre bestraft, weil er einige Worte mit deutschen Touristen gewechselt hatte.

Anmerkung; Diese Verhältnisse sind wahrscheinlich wichtig für die Beurtei­lung nach HHG.

XI. Geldüberweisungen.

1. Allgemein genehmigt war die Überweisung von 50% des Gehaltes an Ver­wandte in der SBZ zum Kurse 1 Rubel = 2 DM Ost. Auch die Überweisung dieses Betrages an Firmen oder Banken in der SBZ war später möglich.

2. Einige als Österreicher anerkannte Spezialisten hatten etwa von 1951 an das Recht, 50% des Gehaltes an Verwandte in Österreich zum Kurse 4 Rubel = 1 US S zu überweisen.

3. Vom März 1957 an wurde der Restgruppe Suchumi Postfach 126 gestattet, bis zu 30% des Gehaltes an Verwandte in der Bundesrepublik Deutsch­land oder Österreich zum Kurse k Rubel = 1 US$ zu überweisen.

XII. Verlängerung der Internierung

Abgesehen davon, dass die ursprünglich zugesagten Repatriierungstermine nicht gehalten wurden, gab es einen besonderen Fall der Verlängerung des Aufenthaltes in der UdSSR aus politischen Gründen, nicht aus Gründen des Arbeitseinsatzes. Dieser Fall lag vor bei der Gruppe Suchumi Postfach 126 (bis 1955 Moskau Postfach 9o8). Auf Grund der Tatsache, dass den Kriegsge­fangenen das Recht zugestanden war, sich frei zu entscheiden, nach welchem Teil Deutschlands sie zurückkehren wollten, äußerten auch eine Anzahl Spezialisten der genannten Gruppe, darunter ich, bereits 1955 den Wunsch, nach der Bundesrepublik repatriiert zu werden. Wer nun von dieser Gruppe bis Anfang Oktober 1956 sich bereit erklärt hatte, in der "DDR" zu arbei­ten, wurde im Herbst 1956 repatriiert. Zunächst war zugesagt, dass auch alle anderen bis Ende 1956 die UdSSR verlassen würden. Nachdem aber die ersteren weg waren, geschah mit den anderen nichts mehr, und nach einigen Wochen wurde eröffnet, dass ihr Aufenthalt bis Ende 1958 verlängert sei. Ein Grund wurde uns offiziell nicht genannt. Aber es war klar, und dies wurde auch der sowjetischen Bevölkerung von Seiten der Kommunistischen Partei angegeben, dass wir zur Strafe dafür, dass wir nach dem NATO-Staat Bundesrepublik Deutschland wollten, weiter festgehalten würden, also nur aus politischen Gründen im engsten Sinne des Wortes. Das ist wichtig für die Beurteilung nach HHG. Dank der Verhandlungen von Botschafter Lahr in Moskau fand dann die Repatriierung im Februar 1958 statt.

XIII. Repatriierung.

1.  Die Repatriierungen erfolgten in der Zeit von 1950 bis 1958.

2.  Wo schriftliche Verträge abgeschlossen waren, erfolgte die Repatriierung
meistens erst beträchtliche Zeit nach Ablauf der Verträge, z.B. im
Falle der Gruppe Moskau Postfach 9o8 - Suchumi Postfach 126 mit 1 1/2
bis 3 jähriger Verzögerung.

3.  Die Repatriierungen erfolgten fast durchweg in die SBZ.

4. Aus der SBZ haben sich eine Anzahl ehemaliger Spezialisten nach der Bundesrepublik abgesetzt.

5. Aber es gab auch einige wenige Fälle ehemaliger Spezialisten, die mit offizieller Genehmigung der "DDR"-Behörden nach der Bundesrepublik kamen.

6. Nur die Angehörigen der Restgruppe Suchumi Postfach 126, die nicht in der SBZ hatten Arbeit aufnehmen wollen, und deswegen etwa 15 Monate länger festgehalten worden waren, konnten im Januar 1958 frei entscheiden, ob sie auch nach der DDR oder direkt nach der Bundesrepublik Deutschland oder nach Österreich zurückkehren wollten. Die entsprechende Rückkehr erfolgte dann Anfang Februar 1958, wobei 21 Spezialisten nach der Bundesrepublik kamen

7. Bei der Repatriierung noch vorhandenes Bargeld wurde in die Währung des Landes, wohin die Repatriierung erfolgte, zu dem offiziell gültigen Kurs umgetauscht und überwiesen, wobei nach dem 1.4.57, dem Tag der Ein­führung der Touristenkurse, für diese Überweisung die neuen Touristen­kurse, also im Falle westlicher Staaten der Kurs 10 Rubel = 1 US $ , zu Grunde gelegt wurden.

XIV. Rückführkosten.

1.  Die Fahrtkosten bei der Rückführung hatte der Spezialist nirgends selbst
zu tragen.

2.  Bei Repatriierungen in die SBZ hatte der Spezialist auch keine Fracht­
kosten für das Umzugsgut zu tragen.

3.  Bei Repatriierungen in die Bundesrepublik Deutschland hatte der Spezia­list die Frachtkosten von der sowjetischen Grenze an selbst zu bezahlen.

4.  In einem Falle des Punktes 3 sind die Frachtkosten hier ersetzt worden
(Hessen). In einem weiteren Falle läuft ein Antrag auf Erstattung, wobei
die Behörden (Baden-Württemberg) nicht recht wissen, wie sie ihn behandeln
sollen (das ist mein Fall),

XV. Behandlung nach dem BVFG

Es gibt folgende Fälle:

1. Zurückgekehrte Spezialisten, die früher in den Ostgebieten gewohnt hatten, erhielten den A-Schein.

2.  Zurückgekehrte Spezialisten, die über die SBZ kamen, erhielten den C-
Schein nach § 3.

3.  Zurückgekehrte Spezialisten, die direkt in die Bundesrepublik Deutsch­land kamen, erhielten den C-Schein unter Anwendung von § 4; dazu gehöre
auch ich.

 

4. Ein zurückgekehrten Spezialisten, der direkt in die Bundesrepublik

Deutschland kam, wurde der C-Schein verweigert (Hessen).

XVI. Behandlung nach dem HkG.

1. Entsprechend Erlass IIc5-668/53-2995.15 des Bundesministers für Arbeit vom 28.12.53 (Bundesarbeitsblatt Nr. 2, 195^, S. 38) wurden viele Spe­zialisten als Heimkehrer anerkannt. Zum Teil wurden auch die Familienangehörigen als Heimkehrer anerkannt.

2. Entsprechend Erlass IIc5-2995- 15-39/58 des Bundesministers für Arbeit vom 28.1.58 (Bundesarbeitsblatt Nr. 6, 1958, S. 136) wurde bei vielen Spezialisten die Anerkennung als Heimkehrer abgelehnt.

XVII. Behandlung nach dem HHG

Es gibt folgende Fälle:

1. Spezialisten, die ursprünglich aus politischen Gründen verhaftet und später in den Zustand des normalen Spezialisten überführt worden waren, wurde die ganze Zeit des Aufenthaltes in der UdSSR nach dem HHG aner­kannt, also auch die Zeit, wo sie in den gleichen Verhältnissen lebten, wie die „Nur-Reparations-Spezialisten“.

 

2. Spezialisten, die nur zur Reparationsleistung interniert waren, wurde die ganze Zeit nach HHG anerkannt (z.B. Nord-Rhein-Westfalen).

 

3. Spezialisten, die nur zur Reparationsleistung interniert waren, wurde, auch wenn die Internierung entsprechend dem Punkt XIII verlängert wurde, die Anerkennung nach HHG verweigert (Mein Fall, die Begründung der Ab­lehnung beruht im wesentlichen darauf, dass entsprechend den bei der Lesung des HHG im Bundestag gemachten Erläuterungen der Personenkreis der Spezialisten nicht zum Personenkreis des HHG gehöre).

 

Anmerkung; Als das HHG im Bundestag behandelt wurde, war das "Spezialisten-Problem" scheinbar dadurch gelöst, dass diese Personen entsprechend dem oben erwähnten Erlass des Bundesministers für Arbeit vom 28.12.53 als Heim­kehrer anerkannt werden konnten. Daher ist es selbstverständlich, dass da­mals im Bundestag im Zusammenhang mit dem HHG die Spezialisten überhaupt nicht erwähnt wurden. Durch den Erlass des Bundesministers für Arbeit vom 28.1.58 hat sich aber die Lage geändert. Daher müssten jetzt die Speziali­sten entweder mit in das HHG aufgenommen werden oder für diesen Personen­kreis besondere gesetzliche Regelungen getroffen werden.

XVIII. Anerkennung des Reparationsdienstes als Ersatzzeit.

 

Bezüglich des Verhältnisses zur Angestelltenversicherung sind mir fol­gende Fälle bekannt:

 

1.  Bei den vom HkG oder HHG erfassten Personen ist die Ersatzzeitfrage
automatisch gelöst
.

 

2.    Ein Inspektor der Sozialversicherung hielt es für so selbstverständlich,
dass der Reparationsdienst als Ersatzzeit gelten müsse, dass er ohne
Bedenken die ganze Zeit als Ersatzzeit wegen "Internierung" beurkundete
(mein Fall).

 

3.    In vielen Fällen der direkt in die Bundesrepublik Deutschland Zurückgekehrten wurde die Anerkennung als Ersatzzeit auf Grund dessen, dass die entsprechenden Paragraphen in den bezüglichen Bestimmungen fehlen, noch nicht erteilt.

 

4.    Für in die SBZ zurückgekehrte Spezialisten wurden von der dortigen Re­gierung für die ganze Zeit des Reparationsdienstes entsprechende Bei­träge zur dortigen Sozialversicherung bezahlt, oder wenigstens beschei­nigt.

 

5.     Spezialisten, die über die SBZ nach der Bundesrepublik kamen, und die unter 4 erwähnte   Bescheinigung mitbrachten, erhielten die Russlandzeit auch hier angerechnet.

 

6.    Spezialisten, die über die SBZ nach der Bundesrepublik kamen und die erwähnte Bescheinigung nicht mitbrachten (besonders häufig in letzter Zeit) haben bis jetzt ebenfalls noch keine Anerkennung der Russlandzeit als Ersatzzeit.

 

Ich hoffe, mit dieser Zusammenstellung beim Leser den Eindruck erweckt zu haben, dass eine einheitliche gesetzliche Regelung für alle ehemaligen Spezialisten angebracht wäre.